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ViEW

News für institutionelle Investoren

KI: Der Game-Changer an den Finanzmärkten?

Die globale Wirtschaft erlebt derzeit eine Zäsur der bisherig „gelebten“ Praxis. Nicht nur der sogenannte „US Liberation Day“ und die angedachte Einführung von Handelszöllen verändern diese möglicherweise maßgeblich. Mit der Eskalation des Zollstreits zwischen China und den USA zeigen sich bereits erste verheerende Auswirkungen.

Die Regierungsbildung in Deutschland, die zumindest bei der Wahl des Bundeskanzlers schon historisch einmalig verlaufen ist, ist zudem ein Thema, dem wir uns in dieser Ausgabe widmen. Darüber hinaus erkennen wir Wachstumspotenziale in den Wohnungsmärkten europäischer Metropolen, beobachten die Entwicklungen bei Frankreichs Staatsanleihen und die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz (KI) in Quant-Modellen, die zunehmend die Finanzwelt revolutioniert.

Wir wünschen Ihnen wieder spannende „ViEWs“!

Zölle: Eine historische Einordnung

Die Geschichte der Zölle reicht weit zurück – mit unterschiedlichen Zielsetzungen und auch Konsequenzen. In Europa gab es Zölle bereits im Mittelalter als Mittel zur Finanzierung von Staaten und zur Regulierung des Handels. Im 18. Jahrhundert wurden sie dann zu einem wichtigen Instrument der Wirtschaftspolitik, insbesondere in Großbritannien und Frankreich.

In den USA wurden Zölle erstmals nach Erlangung der Unabhängigkeit eingeführt, um die junge Nation zu finanzieren und die heimische Industrie zu schützen. Der Tariff Act von 1789 markierte den Beginn der amerikanischen Zollpolitik. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden Zölle in den USA immer wieder erhöht oder gesenkt, je nach den wirtschaftlichen und politischen Bedürfnissen des Landes.

Im Jahr 1930 wurde der Smoot-Hawley Tariffs Act eingeführt mit dem Ziel, die amerikanische Wirtschaft zu schützen und die Weltwirtschaftskrise einzudämmen. Die drastisch erhöhten Zölle auf Importe bewirkten jedoch das Gegenteil und führten zu einer globalen Zoll-Eskalation und Verschärfung der Weltwirtschaftskrise.

In Europa führten die Zölle zu Protektionismus und Handelskriegen zwischen den Nationen. Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957 und die Einführung des Binnenmarktes 1993 führten jedoch zu einer Abschaffung bzw. deutlichen Reduzierung der Zölle innerhalb der EU.

Trumps „US Liberation Day“: Revolution ja, aber Befreiung?

Geht es nach Donald Trump, dann soll der 2. April 2025 in die Geschichte eingehen als der „US Liberation Day“, der Tag, an dem sich die USA von der „Ausbeutung“ durch die restliche Welt befreiten. Seine Behauptung der „Ausbeutung“ macht Trump wohl am Handelsbilanzdefizit der USA fest, welches sich für das Jahr 2024 auf über 900 Milliarden US-Dollar belief, das Defizit rein auf der Güterseite war mit etwa 1.200 Milliarden noch größer. Nach Trumps Einschätzung resultiert dieses massive Ungleichgewicht hauptsächlich aus unfairen Praktiken der Handelspartner („They are ripping us off“). Gründe hierfür nennt er viele, von relativ unstrittigen wie Währungsmanipulation oder Exportsubventionen bis hin zu den besonders schwer als Handelshemmnis begründbaren Mehrwertsteuersystemen. Die reziproken Zölle, wie sie von Trump genannt werden, sollen alle diese Faktoren berücksichtigen und eben ausgleichen, damit die USA Handel auf einer fairen Basis betreiben können.

Aufgrund der Erfahrungen mit Trump in seiner ersten Amtszeit wurde bereits erwartet, dass eine aggressive Zollankündigung kommen würde, um mehr Spielraum für Verhandlungen danach zu haben. Was aber Anfang April tatsächlich verkündet wurde, war am oberen Ende der Erwartungen … oder sogar darüber. Ein 10-prozentiger Basiszoll für alle Länder plus einem länderspezifischen Aufschlag für knapp 60 Länder. Entsprechend harsch war die initiale Reaktion an den Kapitalmärkten. Als dann China Vergeltungsmaßnahmen ankündigte und sich die USA und China gegenseitig auf Zölle über 100 Prozent hochschaukelten (was faktisch nahezu einem Handelsembargo gleichkommt), kam es nicht nur zu einem Abverkauf von risikobehafteten Wertpapieren.

Auch der US-Dollar sowie längerlaufende US-Staatsanleihen hatten Verluste zu verzeichnen und die Zinsstrukturkurve versteilerte sich zusehends. Das ist nicht die Marktreaktion, die ein „Safe Haven“-Land kennzeichnet. Die Heftigkeit der Marktbewegungen zwang die US-Administration zum Gegensteuern. So wurde der länderspezifische Zollaufschlag nach dem Inkrafttreten am 9. April bereits am nächsten Tag wieder für 90 Tage ausgesetzt, mit der Ausnahme China. Ein ganz ähnliches Muster war zu erkennen, als Trump dann noch FED-Chef Powell direkt angriff und dessen Absetzung forderte, weil er seinem Wunsch nach Zinssenkungen nicht nachkam. Auch hier gerieten längerlaufende US-Staatsanleihen und der US-Dollar stark unter Druck, wodurch Trump erneut eine 180-Grad-Drehung vollzog.

Finanzmärkte passen sich schneller an als die physischen Warenströme.

Bernhard Herrmann, Senior Analyst Research – Macro

Der Status als sicherer Hafen ist für die USA elementar. Die Handelsbilanz ist nur eine Seite der Medaille, das Defizit auf der Handelsseite muss durch Kapitalzuflüsse finanziert werden, die Zahlungsbilanz ist per Definition immer ausgeglichen. Untergräbt man diesen „Safe Haven“-Status, werden die Märkte eine höhere Risikoprämie für US-Wertpapiere fordern. Erschwerend kommt hinzu, dass die US-Haushaltssituation ebenfalls schwer angeschlagen ist, auch in Zeiten starken Wachstums wurden hohe Defizite gefahren. Finanzminister Bessents Ziel von 3 Prozent Haushaltsdefizit liegt derzeit in weiter Ferne, der langfristige Schuldenpfad wird immer weniger nachhaltig.

Die US-Administration bewegt sich hier auf einem schmalen Grat, da sich die Finanzmärkte schneller anpassen können als der physische Fluss auf der Güterseite. Die jüngsten Kehrtwenden haben gezeigt, dass sie sich der Wichtigkeit des „Safe Haven“-Status bewusst ist. Diesen leichtfertig zu verspielen würde die weitere Umsetzung der Trumpschen Agenda deutlich erschweren. Dennoch hat diese jüngste Episode Kratzer an der Marktperzeption von Dollar und Treasuries hinterlassen, Kratzer, die man nur schwer komplett wieder herauspolieren kann.

Das Hin und Her auf der Zollseite dürfte uns, zumindest in verminderter Form, über die nächsten Wochen weiterhin begleiten. Der Fokus richtet sich nun auf die Handelsabkommen, welche die USA in der nächsten Zeit aushandeln wollen. Japan und Indien sollen hier ganz vorne in der Schlange stehen. Für die Märkte wäre es sehr wichtig, dass zumindest mal ein Abkommen geschlossen wird, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was in diesen Verhandlungen möglich ist und was nicht. Allerdings ist klar, dass wir bei weitem nicht zu den Zollniveaus vor dem 2. April zurückkehren werden. Wir gehen davon aus, dass der länderspezifische Aufschlag in den meisten Fällen wegverhandelt werden kann, nicht aber der Basiszoll von 10 Prozent. Auch für China rechnen wir mit einem Deal, da für beide Seiten die Belastungen extrem schmerzhaft sind, allerdings erst für die zweite Jahreshälfte.

Dies wird in der Weltwirtschaft Spuren hinterlassen. Wir gehen zwar nicht von einer Rezession aus, die Risiken dafür sind aber deutlich gestiegen und global haben wir die Wachstumsprognosen auf breiter Ebene gesenkt. Inflationsseitig ist das Bild weniger eindeutig. Während die Zölle eine höhere Inflation für die USA implizieren, sehen wir für den Rest der Welt eher disinflationäre Impulse. Das bedeutet dann aber auch, dass man weltweit mit mehr geldpolitischem Stimulus rechnen kann. In China dürfte auch fiskalisch nochmal deutlich nachgelegt werden. Für die FED ist aufgrund des dualen Mandats die Reaktion weniger eindeutig. Schwächeres Wachstum und höhere Inflation sollten sich im Bild der FED kompensieren, von daher rechnen wir auch weiterhin mit drei Zinssenkungen der FED in diesem Jahr. Global schwächeres Wachstum impliziert letzten Endes aber auch, dass die Return-Erwartungen für risikobehaftete Wertpapiere, wie Aktien, für das Jahr 2025 angepasst werden müssen.

In den letzten Jahren hat der US-Dollar oftmals aufgewertet, wenn Aktien unter Druck gekommen sind, das Portfolio konnte also mit Dollar-Exposure leicht abgesichert werden. In der jüngsten Episode um den „Liberation Day“ herum haben US-Dollar und auch US-Treasuries die Verluste aus Aktien in der kritischen Phase nicht vermindert, im Gegenteil für einen Euro-Investor hat die Dollarabwertung die Verluste sogar verstärkt. Dies zeigt einmal mehr, dass wir uns derzeit in einer Welt von epochalen Veränderungen befinden.

 

Wachstumspotenziale an Europas Wohnungsmärkten

Die Wohnungsmärkte in den europäischen Metropolen bleiben trotz des aktuell volatilen wirtschaftlichen Umfeldes hoch attraktiv. In nahezu allen Ländern ist eine anhaltende Zuwanderung von Arbeitskräften in urbane Zentren zu beobachten. Dieser Megatrend trifft auf eine starre „Housing Supply Elasticity“, das heißt auf ein unelastisches Wohnraumangebot, das aufgrund von zu geringer Bautätigkeit mit dem Nachfragewachstum vielfach nicht Schritt hält – dieser strukturelle Nachfrageüberhang manifestiert sich in vielerorts steigenden Mieten.

Die Folge: Viele Länder bemühen sich um vereinfachte Planungsprozesse und schnellere Genehmigungsverfahren, um private und institutionelle Investitionen anzuregen. Gleichzeitig greifen Regierungen stärker in die Wohnungsmärkte ein, um Mietpreissteigerungen zu dämpfen, etwa durch Mietpreisregulierungen, gedeckelte Mieterhöhungen oder verschärfte Anforderungen an Bestandsinvestoren, was der Ausweitung des Angebotes wiederum entgegenwirkt.

In diesem regulatorisch unübersichtlichen Geflecht ist es wichtig für Investoren, lokale Rahmenbedingungen zu kennen. Europa weist in der Marktstruktur große historische Unterschiede auf: Eigentums- und Mietquoten variieren deutlich zwischen Nord- und Südeuropa. Wohnformen, Haushaltsstrukturen und Bedürfnisse unterscheiden sich – etwa zwischen jüngeren Mietern, älteren Nutzern oder internationalen Zuzüglern. Besonders in den dynamischen Metropolen wächst zudem die Nachfrage nach ergänzenden Angeboten wie Gemeinschaftsflächen, Smart-Living-Konzepten oder Serviceleistungen. Die operative Präsenz vor Ort ist daher essenziell.

Neben dem klaren Trend zur Reurbanisierung ist auch eine Professionalisierung der Wohnungsmärkte Europas zu erkennen – begleitet von einem zunehmenden Institutionalisierungsgrad. Dieser beschreibt, wie stark der jeweilige Markt durch institutionelle Investoren geprägt ist. Deutschland als Beispiel ist vielen anderen europäischen Märkten hier voraus und hat diese Dynamik bereits in den letzten 30 Jahren durchlebt. Andere Märkte, wie zum Beispiel Spanien, befinden sich gerade in einer Transformation – mit sich entsprechend eröffnenden Wachstumschancen.

Entsprechend dieser Rahmenbedingen ergeben sich für institutionelle Anleger in vielen europäischen Märkten interessante Einstiegsmöglichkeiten, sofern regulatorische Rahmenbedingungen, Mietentwicklungen und Nutzerbedürfnisse realistisch eingeschätzt werden. Die Einstiegschancen sind insbesondere dort interessant, wo der Kapitalbedarf auf Planungssicherheit, Nachfrage und politischen Willen trifft. Hier finden sich spannende Renditepotenziale.

Dr. Heiko Kirchhain, Specialist Real Estate
Patrik Tiede, Real Estate Fund Manager

Ein Espresso mit …

Peter Nowaczyk, Director Institutional Sales, im Gespräch
mit Dr. Anton Fischer, Senior Analyst Research – Macro

PN: Mit etwas Dramaturgie steht nun die Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz. Was können wir erwarten? 

AF: Im Koalitionsvertrag wurden wesentliche Herausforderungen des Landes erkannt, angefangen von der abnehmenden wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und ihren Ursachen, der gesellschaftlichen Polarisierung beim Migrationsthema und der Verteidigungspolitik bis hin zur aktuellen Fragmentierungstendenz beim internationalen Handel.

PN: Du meinst also, das Erkenntnisdefizit ist gering, aber wie sieht es mit den geplanten Maßnahmen aus?

AF: Tendenziell sieht man die richtigen Ambitionen: Runter mit den Energie- und Bürokratiekosten, Steuern eher senken, Anreize für Investitionen und zur Arbeitsaufnahme erhöhen. Ob sich die markt- und wettbewerbsfreundliche Grundidee letztlich durchsetzt, ist noch nicht entschieden wie zum Beispiel das Kompromissergebnis beim Thema Mindestlohn zeigt. 

PN: Bereits vor dem Koalitionsvertrag hat man fiskalische Fakten geschaffen. Ist die Aufweichung der Schuldenbremse jetzt der Sündenfall, verliert die Bundesanleihe ihren Sicherheitsstatus? 

AF: Die Schuldenbremse war prinzipiell der Versuch, politische Begehrlichkeiten im Wahlzyklus besser in den Griff zu bekommen. Das ist teilweise gelungen, wenn man auf Schuldenstand und Defizite Deutschlands relativ zu anderen Ländern schaut. Teilweise aber auch deswegen, weil man Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung vernachlässigt hat und das Wachstumspotenzial deshalb niedrig ist. Wenn der neue fiskalische Spielraum jetzt konsumtiv verwendet wird, wäre das fatal. Ob es ein Sündenfall ist, hängt also entscheidend davon ab, ob die eingesetzten Milliarden effizient und effektiv für Investitionen verwendet werden, welche die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig verbessern. Wenn das geschieht, dürfte das sogar eher positiv für den Status sein. 

PN: Am Aktienmarkt gab es ja bereits reichlich Vorschusslorbeeren für die neue Regierung, Zeit das mitzunehmen, oder kommt da mehr, auf was sollten wir in den nächsten Monaten schauen? 

AF: An den Aktienmärkten dürfte zumindest in der nächsten Zeit das Thema Zölle dominieren. Danach stellt sich aber sicher die Frage, ob es nun mehr Verständnis in Berlin für die wichtige Rolle von Unternehmen in der sozialen Marktwirtschaft gibt. Entscheidend dabei aus meiner Sicht ist zweierlei: Zum einen weiterhin erfolgreiche Signale der Handlungsfähigkeit zum Beispiel auch mit Sofortmaßnahmen vor der Sommerpause und zum anderen stringentes Kurshalten und Umsetzen der Reformen möglichst bis Anfang 2027.

Frankreichs Staatsanleihen im Fokus

Frankreich ist die zweitgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone und historisch ein Grundpfeiler für europäische Integration, Innovation und Kultur. Die französische Wirtschaft ist einerseits gut diversifiziert und andererseits in innovativen Sektoren wie beispielsweise Tech-Start-ups stark vertreten.

Aus den aktuellen Zollauseinandersetzungen geht Frankreich als relativer Profiteur hervor, da das verarbeitende Gewerbe im Vergleich zum EU-Durchschnitt etwas geringer ausfällt (10,6 versus 15,6 Prozent). Zudem haben die Franzosen die Niedrigzinsphase relativ gut genutzt, indem sie die durchschnittliche Kreditlaufzeit verlängert haben. Des Weiteren ist die Liquidität in französischen Staatsanleihen sehr hoch und auch die demografische Entwicklung ist besser im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Ländern. All diese Aspekte sind ohne Zweifel positiv aus Kreditgebersicht und sicher ein Grund dafür, warum sich französische Staatsanleihen unter internationalen Anleiheinvestoren seit Jahrzehnten sehr großer Beliebtheit erfreuen.

Im vergangenen Sommer war die große Überraschung die unerwartet vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich. Der Markt sorgte sich zu Beginn vor allem darum, dass die euroskeptische und rechtspopulistische Partei Rassemblement National eine absolute Mehrheit erlangen würde. Die Spread-Aufschläge über Deutschland handelten volatil im Jahresverlauf und erreichten den Höhepunkt Anfang Dezember 2024, als die Barnier-Regierung kollabierte. Seitdem engten sich französische Spreads bis zur amerikanischen Zollankündigung am 2. April 2025 wieder fast komplett auf den Stand vor der Ausweitung ein.

Aus Investorensicht stellt sich nun die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, ob in absehbarer Zeit wieder vermehrt über französische Staatsanleihen gesprochen wird oder nicht. Intuitiv gibt es vier mögliche Risikothemen: Schulden, Defizite, politisches Risiko und potenzielle Anleiheverkäufe. In Bezug auf die absoluten Schulden relativ zum Bruttoinlandsprodukt hat Frankreich mittlerweile den drittgrößten Wert in der Eurozone (113,1 Prozent Stand Dezember 2024). Nur Griechenland und Italien haben mehr Schulden. Dies ist die Folge von kontinuierlichen Haushaltsdefiziten seit mehr als 50 Jahren. Die folgenden Charts zeigen die historische Entwicklung der Schulden und Defizite und machen deutlich, dass es in den letzten 50 Jahren keine politische Mehrheit gab, um einen Haushaltsüberschuss zu generieren:

Französisches Staatsdefizit vs. BIP (gemäß Maastricht)                                 

 

Französische Staatsschulden vs. BIP (gemäß Maastricht)

 

Quelle: INSEE

 

Die aktuelle Bayrou-Regierung versucht, die Haushaltsdefizite langsam abzubauen. Ziel ist es ein Defizit von 3 Prozent bis 2029 zu erreichen. Damit möchte man einen zu großen negativen Einfluss auf die Wirtschaft vermeiden. Es setzt aber auch voraus, dass die französische Wirtschaft weiterhin wächst und der Markt so eine lange Konsolidierungsphase ohne höhere Risikoprämie finanziert.

Das politische Risiko in Frankreich hat vor allem zwei Facetten: Fehlende Mehrheiten für eine nötige Haushaltskonsolidierung und Risiken zunehmender extremer politischer Ansichten inklusive europakritischer Inhalte. Beides kann sich sowohl in der Präsidentschaftswahl als auch in den kommenden Parlamentswahlen zeigen. Die Präsidentschaftswahl sollte jedoch erst Anfang 2027 von Belang sein. Wichtiger sind daher die Parlamentswahlen, die auch dieses Jahr wieder vorgezogen werden könnten (i. e. im zweiten Halbjahr stattfinden könnten).

In Bezug auf potenzielle Anleiheverkäufe geht es primär um zwei Aspekte: Einfluss von Rating-Herabstufungen und die aktuelle Besitzerstruktur der Staatsanleihen. Bislang bewerten die Rating-Agenturen Frankreich immer noch mit AA-. Falls das Durchschnitts-Rating auf A+ fallen würde, könnte es zu Verkäufen kommen, da gerade internationale Zentralbanken sensitiv auf diese AA-A Schwelle reagieren könnten. In so einem Fall würden französische Anleihen auch aus den AAA-AA Bondindizes fallen. Es ist jedoch schwierig abzuschätzen, ob solche Verkäufe einen nennenswerten Markteinfluss hätten. Wie anfangs erwähnt, haben internationale Investoren in den vergangenen Jahrzehnten große Volumina französischer Staatsanleihen gekauft. Der Besitzanteil internationaler Investoren an französischen Staatsanleihen liegt bei über 50 Prozent. Dies hat zur Folge, dass bei negativer Berichterstattung (insbesondere politischer Natur) Anleihen in der Regel schneller verkauft werden, als es bei inländischen Besitzern der Fall wäre.

Sprechen wir daher bald wieder vermehrt über französische Staatsanleiherisiken? Dies ist immer schwer zu sagen. Falls Risikoprämien jedoch allgemein weiter ansteigen sollten, erfordert der Markt in der Regel solche insbesondere für Länder mit hohen Schulden und Defiziten. Unabhängig von der allgemeinen Marktrichtung bleibt jedoch festzuhalten, dass solche Schuldenprobleme proaktiv adressiert werden sollten. Eine Haushaltskonsolidierung wird ab einem gewissen Zeitpunkt eher schwieriger.

Jürgen Martinschledde
Senior Portfolio Manager Active Fixed Income Macro

 

Die Zukunft des Investierens: Quant-Modelle und Machine Learning

Die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage bringt viele Herausforderungen für die Finanzmärkte mit sich. Doch wie können Investoren und Analysten in solchen Zeiten fundierte Entscheidungen treffen? Ewelina Vaughan, Key Account Executive Institutional Clients, spricht mit Ansgar Pütz, Senior Analyst Research, darüber, wie quantitative Modelle und Methoden wie Machine Learning und GenAI dabei helfen können, fundierte Meinungen zu bilden und interessante Signale aus dem Rauschen der Märkte herauszufiltern.

EV: Nicht nur die Finanzmärkte durchleben im Moment sehr bewegte Zeiten. Ihr arbeitet im Quant Research mit Modellen, macht also im Prinzip Analysen, Konzepte und Simulationen, die auf Daten aus der Vergangenheit aufsetzen. Kann das in Zeiten von Trump & Co. überhaupt etwas Sinnvolles beitragen?

AP: Absolut. Auch wenn die Finanzmärkte momentan sehr stark auf politisch bestimmte Themen schauen, sind die anderen Einflussfaktoren ja nicht außer Kraft gesetzt. Eine quantitative Perspektive kann dabei helfen, fundierte Meinungen zu bilden und aus dem ganzen "Rauschen" interessante Signale herauszufiltern. Die quantitativen Verfahren sind in dieser Hinsicht mittlerweile sehr mächtig – Stichwort Machine Learning oder GenAI – und nützlich, solange man weiß, welche Daten man verwendet und die Modelle selbst entwickelt, anstatt fremde zu übernehmen.

Ewelina Vaughan

Ewelina Vaughan

Key Account Executive Institutional Clients

Die Finanzmärkte durchleben im Moment sehr bewegte Zeiten.

EV: Was heißt das konkret?

AP: Ein Beispiel ist das Rezessionsrisiko: Kurz nach der Trump-Wahl waren die Märkte euphorisch. Mittlerweile sieht man stärker die Gefahr, dass die hohen Zölle und Gegenzölle die Wirtschaft abwürgen und in eine Rezession stürzen könnten und wir beobachten starke Kursschwankungen. In einer solchen Situation braucht man eine eigene Einschätzung, ob die Märkte da richtig liegen.

Wenn man sich die Vergangenheit ansieht, kann man in Daten Muster erkennen, die mit Rezessionen korreliert waren. Wenn man die jeweils aktuellsten Daten damit vergleicht, bekommt man eine Indikation dafür, ob man sich in einer für eine Rezession typischen Situation befindet oder eben nicht. Dafür braucht man eine Vielzahl von aussagekräftigen Daten aus unterschiedlichen Bereichen, wie zum Beispiel dem Arbeitsmarkt, Stimmungsindikatoren und Finanzmarktinformationen.

EV: Aber warum braucht man dafür komplizierte Quant-Modelle? Um Rezessionen zu erkennen, gibt es ja einfache Kenngrößen.

AP: Das ist ein gutes Beispiel: Im August vergangenen Jahres kam an den Märkten die Rezessionssorge auf, es gab starke Kurseinbrüche. Ursächlich dafür war, dass ein einfacher Indikator, die sogenannte „Sahm-Regel“, getriggert wurde. Diese besagt, dass in den USA eine Rezession unmittelbar bevorsteht, wenn der gleitende Dreimonatsdurchschnitt der Arbeitslosenquote mindestens 0,5 Prozentpunkte über dem niedrigsten Wert in den vergangenen zwölf Monaten liegt. Andere Indikatoren haben dieses Bild nicht unterstützt. Letzten Endes ist die Arbeitslosenrate in den Folgemonaten wieder gefallen und der Trigger war wieder „off“. Oft braucht man also mehr Daten als nur einen Indikator. Am besten sehr viele und auf einer breiten Basis. Und die sollte man dann schnell auswerten können, damit sie bei der Positionierung auch sinnvoll sind

Ansgar Pütz

Ansgar Pütz

Senior Analyst Research – Quant

Eine quantitative Perspektive kann helfen, interessante Signale und Muster in der Vielzahl der Indikatoren zu erkennen.

EV: Wie macht Ihr das konkret?

AP: Für die USA haben wir beispielsweise ein Machine Learning Modell, das mit circa 90 kuratierten Zeitreihen arbeitet. Für ein einfaches Regressionsmodell sind das einerseits zu viele, andererseits sind die relevanten Zusammenhänge häufig nicht linear, haben Schwellenwerte usw. Wir verwenden deshalb einen Cluster-Algorithmus, den wir so kalibriert haben, dass er genügend viele Daten verwendet, aber auch aktuell genug ist, denn viele volkswirtschaftliche Daten gibt es nur mit Verzögerungen und Revisionen. Die Datenbasis besteht aus monatlichen Datenpunkten für den Zeitraum seit September 1962. Der Algorithmus sortiert diese Beobachtungen in zwei möglichst verschiedene Gruppen, sogenannte „Cluster“. Wenn man diese Cluster dann mit den offiziellen Rezessionsmonaten vergleicht, erkennt man eine starke Korrelation zu einem der beiden Cluster und kann für jeden aktuellen Monat bestimmen, ob er ins „Team Rezession“ fällt oder nicht.

EV: Wie hat das "Out of Sample" funktioniert, also mit Daten, die das Modell bei der Entwicklung noch nicht gesehen hat?

AP: Die letzte offizielle Rezession in den USA war von März bis April 2020 im Zusammenhang mit der Covid-Krise. Diese offizielle Feststellung wird von einer Behörde (NBER) ermittelt, üblicherweise erst sehr lange nach dem Ende einer Rezession, in diesem Fall erst ein Jahr später. Unser Modell hat es fast in Echtzeit erkannt und im Juni 2020 schon das Ende der Rezession signalisiert, also ein Jahr früher als die NBER. Aktuell sieht das Modell keine Rezession, allerdings sind noch nicht viele Daten nach dem „US Liberation Day“, dem Tag, an dem Trump die Welt mit hohen Zöllen überzogen hat, veröffentlicht worden.                                                           >

EV: Stichwort Machine Learning und GenAI: Wie nutzt ihr die Technologie denn im MEAG Research noch, außer bei dem eben diskutierten Rezessionsmodell?

AP: Wir arbeiten bei den Modellen überwiegend mit historischen Zeitreihen, da sind nach wie vor die Machine Learning-Modelle eine gute Wahl.

Die Daten für das gerade angesprochene Clustermodell verwenden wir für auch für andere Algorithmen. Einer davon, ein so genanntes „Nearest Neighbours“-Modell, sucht für einen Satz an Datenpunkten ähnliche Situationen in der Vergangenheit. Daraus kann man dann Analogien ableiten, in welchen Assetklassen man eine Out- oder Underperformance erwarten kann.

Ein anderer Algorithmus nennt sich „Classification Forest“, dieser berechnet ganz explizit Outperformance-Wahrscheinlichkeiten und arbeitet dabei mit den schon angesprochenen nichtlinearen Zusammenhängen, Schwellenwerten und Regimeabhängigkeiten.

EV: Und GenAI?

AP: Wir haben in unserer Abteilung erst einmal denkbare Use Cases gesammelt. Dann haben wir die identifiziert, die wir als Experimentierfeld nutzen. Ziel ist, das Potenzial auszuloten und Erfahrung mit konkreten Anwendungen zu sammeln. Aktuell sehen wir uns das am Beispiel von Reden einzelner Mitglieder der Europäischen Zentralbank an. Diese werden von den Marktteilnehmern oft sehr genau gelesen und interpretiert, denn das können sehr wichtige Informationen für die Entwicklung von Zins- aber auch Aktienmärkten sein. Wir haben da natürlich meistens eine eigene Sicht auf diese Statements. Mit GenAI könnten wir hier eine neue Variante hinzufügen mit der wir sehr schnell und systematisch analysieren und auch explizite Indikatoren berechnen. Da liegt aber wie so oft der Teufel im Detail.

EV: Mit welcher Infrastruktur macht Ihr das konkret?

AP: Wir profitieren hier unter anderem von den Plattformen und dem Netzwerk unseres Mutterkonzerns. Damit muss man nicht jedes Rad neu erfinden und kann sich bei methodischen Fragen bei diesem sehr dynamischen Thema auch mit anderen Experten austauschen.

Bei der konkreten Modellentwicklung testen wir derzeit eine neuartige Software für Data Science und KI, bei der man Modelle sehr transparent erstellen kann („Low Code“). Dies verbessert die Zusammenarbeit von Kollegen mit Coding-Erfahrung, wie uns „Quants“ im Team und den Kollegen mit vorwiegend makroökonomischem Background.

Who let the dogs out – 100 Tage Donald Trump

Podcast Folge 34

Dr. Jürgen Callies, Head of Research
Alexander Hauser, Head of Investment Management

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Ausgabe 3Davongaloppierende Inflation, steigende Lohnforderungen, Fragmentierungstendenzen in Europa: Die Not der Notenbanken.

Ausgabe 2Steigende Zinsen und geopolitische Verwerfungen: Die Kapitalmärkte fest im Griff.

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